Auch wenn das nationalsozialistische Regime die konsequente Verfolgung und Vernichtung sogenannter “asozialer” Bevölkerungsgruppen, zu denen auch die Jenischen zugeordnet wurden, zu einem grauenhaften Höhepunkt trieb, reicht die Geschichte ihrer Verfolgung weitaus länger zurück – und ist vermutlich so alt, wie die Lebensweise der Fahrenden selbst (→ Dossier: Diskreditieren der Sprache als Gaunersprache).
Die Sesshaften sind den Fahrenden stets mit gemischten Gefühlen begegnet (→ Dossier: Die semi-nomadische Lebensweise). Einerseits wurden sie als Händler:innen und Tagelöhner:innen durchaus geschätzt und ihr angeblich sorgenfreies Leben romantisiert und beneidet (→ Dossier: Jenische als Händler:innen). Andererseits sagte man den Jenischen allerlei Übles nach: Unter mal mehr oder weniger berechtigte Klagen über Diebstahl, Betrug oder Raufereien mischten sich stets auch irrationale Ängste und Vorurteile. Den Jenischen wurde eine “naturgemäße” Feindseligkeit und Aggression zugeschrieben, man bezichtige sie des Raubens, Mordens oder gar der Hexerei. Und wie es bei Vorurteilen der Fall ist, wurde auch dieses großzügig über die gesamte Gruppe gestülpt.
Jenische standen unter permanentem Generalverdacht und wurden als “Landplage” ausgegrenzt, schrittweise entrechtet und verfolgt.
Nach und nach wurde beispielsweise das Erlangen des Heimatrechtes erschwert, das von maßgeblicher Bedeutung für sogenannte Hausierlizenzen war (→ Dossier: Heimatrecht, Romehen und Zwang zur Sesshaftwerdung). Solche vergleichsweise harmlosen Diskriminierungen wurden allerdings auch von regelrechten Pogromen begleitet, wie einem Hexerei-Prozess gegen Landfahrer:innen im 18. Jahrhundert oder der mehrfachen Aushebung von Milizen, die mit Spürhunden ausgestattet das Land durchstreiften, um dabei “gefährliches Vagantengesindel” ”niederzuschießen” oder in Armen- und Zuchthäuser zu verschleppen. In abgelegeneren oder stärker von Jenischen frequentierten Gegenden organisierten “besorgte Bürger:innen” die Verfolgung als vermeintliche “Verteidigung” mitunter auch selbst: So heuerten sie etwa pensionierte Kaiserjäger als “Gemeinde-Bodyguards” an.
Aus der Gegend um Ötz und Sautens sind von Dorfbewohner:innen organisierte sogenannte “Dörcherjagden” überliefert. Bei diesen Aktionen überfielen bewaffnete Männer die jenischen Lagerplätze, um die dort ansässigen Menschen gewaltsam ins Schloss Petersberg zu deportieren.
Auch von Kindeswegnahmen wird bereits früh berichtet, bei denen man unter dem Deckmantel des christlichen Mitgefühls den Jenischen ihren Nachwuchs entriss, um diesen bei nicht-jenischen Pflegefamilien zwangsunterzubringen. Eine Maßnahme, die selbst nach den beiden Weltkriegen noch Bestand hatte (→ Dossier: Kindswegnahmen).
Trotz all dieser Grausamkeiten bestand die Lebensweise der Fahrenden weiter.
Erst im 20. Jahrhundert erreichten Infrastruktur, Überwachungsmöglichkeiten und vor allem auch menschenfeindliche Ideologien einen Punkt, der die Eskalation der Verfolgung (nicht nur) Fahrender überall in Europa ermöglichte. Im nationalsozialistischen Regime wurden alle Menschen, die keinen Platz in der nationalsozialistischen Vorstellung der deutschen Volksgemeinschaft hatten, zu “Volks- und Reichsfeinden” erklärt (→ Dossier: Rassenideologie). Als sogenannte “Arbeitsscheue” und “Asoziale” wurden Jenische verschleppt, inhaftiert, “umerzogen”, zwangssterilisiert (→ Dossier: Zwangssterilisierung)und ermordet (→ Dossier: Jenische in Konzentrationslagern).
Manche Jenische versuchten durch Assimilation der Vernichtung zu entgehen (→ Dossier: Verstecken, Verschweigen, Assimilieren): durch Sesshaftwerdung, durch Namensänderungen, das Unterdrücken der Sprache, die Unterbrechung der Weitergabe von Familiengeschichte an die nächste Generation. “Das Leugnen der eigenen Identität wurde zu einer Überlebensstrategie”, so Simone Schönett.
Mit dem Ende des Deutschen Reichs nahm die Verfolgung, Unterdrückung und Gewalt jedoch kein Ende. Selbst die Jenischen, die den nationalsozialistischen Terror überlebt hatten, waren weiterhin von willkürlichen Gefängnisstrafen, Kindswegnahmen und Ausgrenzung betroffen (→ Dossier: Kindswegnahmen).
Noch heute werden bestimmte Nachnamen zum Anlass genommen, sich abfällig über die Namensträger:innen zu äußern. Noch heute werden Fremdbezeichnungen von Jenischen als Schimpfwörter im Tiroler Alltag verwendet.