Peter Vonstadl: Signalpfiffe
Peter erzählt, dass die Jenischen auch über Pfiffe zu kommunizieren wussten und diese unter anderem nutzten, um die ihnen weggenommenen Kinder aus sicherer Distanz “zurückzurufen”.
Kindswegnahmen wurden bereits sehr früh als grausames Mittel von Institutionen verwendet, um Jenische und ihre Lebensweise zu unterdrücken und auszulöschen (→ Dossier: Verfolgungsgeschichte). Eine recht frühe Erwähnung berichtet von einem Schweizer Kapuzinerpater, der zwischen 1861 und 1863 jenischen Familien die Kinder entriss und sie an vermeintlich “brave Bürger” übergab.
In der jüngeren Vergangenheit erlangte, ebenfalls in der Schweiz, das 1926 gegründete Projekt “Hilfswerk für die Kinder der Landstraße” der Pro Juventute seinen zweifelhaften Ruf: Mit Unterstützung von Vormundschaftsbehörden wurden rund 600 Kinder von Fahrenden, insbesondere Jenischen, weggenommen und ihre Familien, systematisch und gegen den Willen der Betroffenen, gewaltsam auseinandergerissen. Erst 1972, im Todesjahr ihres Gründers, des Eugenikers Alfred Siegfried, wurde die skrupellose Vorgehensweise von Pro Juventute aufgedeckt und verursachte einen riesigen Skandal, in dessen Folge die Stiftung (äußerst geringe) Reparationszahlungen an betroffene Familien ausschütten musste, insofern diese noch auffindbar waren – Zahlungen, die das erfahrene Leid der zerrissenen Familie niemals aufwiegen konnten.
Die Kindswegnahmen bauten auf rassenidiologisch unterfütterten Vorurteilen gegenüber Jenischen auf und wurden unter dem Vorwand christlichen Mitgefühls und Nächstenliebe als Sozialprojekt dargestellt (→ Dossier: Rassenideologie). Die Kinder wurden in Heimen, fremden Familien, manchmal aber auch in psychiatrischen Anstalten oder Gefängnissen untergebracht oder Bauernfamilien zur Arbeit zugeteilt. In anerkannten Institutionen wurden die Kinder unter dem Deckmantel der “Erziehung” systematisch gequält, geschlagen und erniedrigt. Auch mit dem Erreichen der Volljährigkeit war für viele entrissene Kinder der Leidensweg nicht vorbei. Man versuchte ihnen die Mündigkeit zu entziehen und verwahrte sie weiter in Psychiatrien oder Gefängnisanstalten. Der Kontakt zwischen den Kindern und ihren Familien wurde konsequent verhindert.
Wo Unterdrückung ist, ist auch Widerstand. In der Schweiz führte unter anderem die massive Gewalt durch Kindswegnahmen zu einer starken kollektiven Politisierung der Jenischen. Bis heute ist die Schweiz das einzige Land, in der Jenische als Volksgruppe anerkannt sind. Die Stiftung Naschet Jenische setzt sich explizit mit der Aufarbeitung der Geschichte des “Hilfswerks Kinder der Landstrasse” auseinander und bietet Betroffenen Unterstützung und Beratung.
Peter erzählt, dass die Jenischen auch über Pfiffe zu kommunizieren wussten und diese unter anderem nutzten, um die ihnen weggenommenen Kinder aus sicherer Distanz “zurückzurufen”.
Sieglinde kritisiert die “Scheinheiligkeit” der Alten, wie sie es nennt. Auch ihrer Pflegemutter unterstellt sie das oberflächliche Motiv des “Gut-Dastehens” als Grund für die Adoption.
Sieglinde erzählt von ihrer langjährigen Unkenntnis über die eigenen jenischen Wurzeln, da sie bereits sehr früh zu einer Pflegefamilie kam. In ihrer “Heimatgemeinde” im Ötztal fühlte sich trotzdem immer etwas fehl am Platz.
Peter erzählt von einer Episode aus seiner frühen Kindheit. Einige Familienmitglieder haben ihn mit Abenteuergeschichten vom Haus seiner Pflegemutter weggelockt und dann nach Innsbruck in die Baracke seines Vaters gebracht.
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