Jede Gruppe hat ihre Sprache – das beginnt beim Jargon der Jugend und den Fachtermini bestimmter Berufsgruppen und endet in der globalen Sprachvielfalt.
Sprache ist Erkennungszeichen – und kann dadurch schnell zum Stigma werden. Für die Jenischen hatte ihre Sprache nicht nur Vorteile (wie z.B. die Vermeidung eines “Belauscht-Werdens”) – lange wurde sie als „Spitzbubensprache“ gebrandmarkt (→ Dossier: Jenisch als Sprache). Mag mit dem neckischen Begriff des “Spitzbuben” oftmals ein zugeneigtes Augenzwinkern einhergehen, so darf er eines nicht verschleiern: Jene, die Jenische als “Spitzbuben” bezeichneten, waren ihnen keineswegs wohlgesonnen (→ Dossier: Verfolgungsgeschichte).
Ob Fahrende:r, Taschendieb:innen oder Scharfrichter – lange war bekannt, dass unter jenen, die man aus den verschiedensten Gründen nicht innerhalb der eigenen Stadtmauern wollte, in fremdartigen Zungen gesprochen wurde. Und da man an diesen Menschen kein gutes Haar finden wollte, diffamierte man auch gleich ihr Vokabular zum „Gaunerwerkzeug“.
Die jenische Sprache war davon besonders betroffen. Die ersten Autoren [sic!], die sich mit ihr auseinandersetzten, waren vor allem kriminologisch an ihr interessiert. So wurde das Jenische zunächst in einen schier bodenlosen Topf mit verschiedensten Sprachen, Dialekten und Vokabeln geworfen, die man großräumig und ohne viel Differenzierung „Rotwelsch“ nannte. Zu diesem “Rotwelsch” wurden zum Teil umfangreiche Wörterbücher verfasst, die vor allem Juristen und Polizisten [sic!] dienen sollten, dem sogenannten „Gesindel“ auf die Schliche zu kommen.
Zudem befassten sich die ein oder anderen moralisch verbrämten Träumer:innen mit der Sprache der “Spitzbuben” auf amüsiert tadelnd entzückte Art und Weise. Sie verfassten ihre eigenen Glossare, nicht ohne sich dabei in langatmigen Vorworten zahlreicher Stereotype und Klischees zu bedienen. Manchmal befindet sich im Anhang solcher Bücher ein zusätzliches Verzeichnis sogenannter “(Gauner-)Zinken”. Diese “Zinken” waren ein aus einfachen Symbolen bestehender Code, der in Gartenzäune, Türstöcken oder andere, sich anbietende Gegenstände geritzt wurde und eingeweihten Betrachter:innen vermitteln sollte, was eine:n an oder hinter der Haustüre erwartete. Entgegen ihrem Ruf dürfte es sich bei diesen Zinken jedoch nicht um Diebeswerkzeug handeln, sondern vielmehr um codierte Hinweise, die zeigen sollen, wie gewogen die Bewohner:innen des Gebäudes etwa Hausierer:innen gegenüber waren.
Auch wenn diese Glossare heute noch einen interessanten Einblick in die farbenfrohe Welt der Sprachschöpfungen diverser Minderheiten bieten, befeuerten sie lange das Stigma als “Gaunersprache”. Auch das mag ein Grund sein, warum das Jenische selbst heute noch nur selten seine Musik in aller Öffentlichkeit entfalten will (→ Dossier: Verstecken, Verschweigen, Assimilieren).
So behagt die aktuelle ”Wiederentdeckung” und der öffentliche Gebrauch der jenischen Sprache auch nicht allen Jenischen: Besonders moderne Glossare erwecken in vielen der älteren Menschen das unangenehme Gefühl des Entblößt-Werdens und einer unangemessenen Aneignung der Sprache durch Nicht-Jenische.
Die Initiative Minderheiten Tirol und das Jenische Archiv sind sich dieser Problematik bewusst und um besondere Sensibilität im Umgang mit entsprechenden Archivalien bemüht. Im Geiste von Romedius Mungenast vertritt die Initiative Minderheiten Tirol und das Jenische Archiv aber die Meinung, dass die Sprache ein wichtiger, widerständiger und schöner Aspekt der jenischen Kultur ist und als solche vor dem Vergessen bewahrt werden muss.